Äußerer Eingangsbereich des Hôpital Albert Schweitzer (HAS) in Haiti mit Menschen

Das Hôpital Albert Schweitzer (HAS) in Haiti erlebt einen starken Anstieg pädiatrischer Behandlungsfälle und die Eskalation von Gewalt

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Jeden Tag werden schwer verletzte Kinder in das HAS gebracht. Manchmal müssen sie einen langen Weg auf sich nehmen, um zur Klinik zu gelangen, wie der fünfjährige Lucien. Er wurde von einem Motorrad angefahren und brach sich den Oberschenkel. Seine Verletzung konnte nicht im nächstgelegenen, etwa 50 Kilometer entfernten Krankenhaus behandelt werden, deshalb wurde die Familie nach Port-au-Prince, der Hauptstadt von Haiti, geschickt.

Im Behandlungsraum steht eine Ärztin am Bett des kleinen Jungen namens Lucien, welcher sein Bein gebrochen hat.

Lucien war mehrere Stunden unterwegs – teils zu Fuß, teils mit dem Tap-Tap (Bus) – bis er in Port-au-Prince ankam. Im dortigen Krankenhaus verlangten die Chirurg:innen jedoch eine Gebühr für die Operation, die Luciens Eltern nicht bezahlen konnten.

So legten sie ihm nur einen viel zu kurzen Gips an, der gerade mal bis zur Bruchstelle reichte und den Jungen daher bei jeder Bewegung furchtbar schmerzte.

Während der gesamten Zeit bekam Lucien keine Schmerzmittel. Als die Familie zwei Tage nach dem Unfall im HAS in Deschapelles eintraf, war der Fünfjährige blass und schrie vor Schmerzen. Er hatte durch den Bruch viel Blut verloren, nichts gegessen und war sehr schwach. Nach der Schmerzbehandlung wurde das Operationsteam zusammengestellt und die Operation direkt am selben Abend durchgeführt. Schon bald hatten Luciens Wangen wieder Farbe, er lächelte uns an und fuhr in seinem Rollstuhl durch den Raum.

Große Herausforderungen für das Klinikpersonal im HAS

Die unzureichende Ausstattung der umliegenden Krankenhäuser verstärkt den Anstieg der pädiatrischen Behandlungsfälle. Obwohl viele Patient:innen das HAS wegen Straßensperren nicht erreichen konnten, wurden in diesem Jahr 4.571 schwer kranke oder verunfallte Neugeborene und Kinder bis 15 Jahre im HAS hospitalisiert. Im Vorjahr waren es 3.742.

Der starke Anstieg betraf alle Abteilungen mit Ausnahme der Neonatologie, die Station für kranke Neugeborene. Besonders betroffen waren die Kinderchirurgie mit 758 operierten Kindern (Vorjahr 666) und die Abteilung für unterernährte Kinder. Zusätzlich wurden 12.680 Kinder im Spital ambulant behandelt, davon waren 2.197 chirurgisch zu versorgende Patient:innen.

Ein junges Kind wird in einem Behandlungsraum von sechs Ärzten chirurgisch verorgt

Im Februar und März 2023 musste das Krankenhaus aus Sicherheitsgründen geschlossen werden. Eine bewaffnete Gruppe überfiel die Stadt, brach in Häuser ein und entführte Menschen nach Belieben. Die Polizei war nicht mehr präsent. Aufgrund der gegenwärtigen Gefahr für Personal und Patient:innen hatte das HAS den Notfalleinsatzplan aktiviert. Alle nicht dringenden Operationen wurden ausgesetzt.

Ein Großteil der Belegschaft musste fliehen, eine Kerngruppe blieb im Hauptgebäude des Krankenhauses im Dienst. Sie kümmerten sich dort um rund 140 Patient:innen, von denen die meisten keine andere Anlaufstelle hatten und nicht entlassen werden konnten.

Nur die kritischsten Fälle haben sie in dieser Zeit neu aufgenommen. Die medizinische Bibliothek wurde mit Kinderbetten ausgestattet und diente als Schlafraum für das Klinikpersonal, das nicht in seine eigenen Häuser zurückkehren konnte.

Überall bestehe dringender Pflegebedarf, erklärt Jean Marc deMatteis, CEO des Hôpital Albert Schweitzer:

Mehrere Ärzte versorgen auf engstem Raum eine hohe Anzahl an Schussopfer-Patienten

„Da die Gewalt immer weiter außer Kontrolle geriet, behandelten wir in diesen Tagen mehr Schussopfer als normalerweise in einem ganzen Jahr! Während die Anforderungen im Krankenhaus weiter zunehmen, entsenden wir auch Gesundheitsteams und mobile Kliniken in die entlegensten Teile unseres Versorgungsgebiets, in denen selbst die medizinische Grundversorgung völlig abgeschnitten ist. Obwohl viele Mitarbeitende rund um die Uhr im Krankenhaus arbeiten und schlafen müssen, sind sie auch heute noch stark und retten Leben!“

Jean Marc deMatteis
CEO HAS

Ein Mitarbeiter des Krankenhauses öffnet ein Paket mit medizinischen Produkten von medi
Maschinenraum mit medizinischen Geräten der orthopädischen Werkstatt

Diesen Sommer konnte nach 14-monatiger Wartezeit ohne ausreichende Vorräte eine Ladung dringend benötigter Verbrauchsmaterialien von Port-au-Prince nach Deschapelles in die orthopädische Werkstatt transportiert werden. Notwendige Reparaturen an Maschinen und Geräten scheiterten aber an der Ersatzteilbeschaffung.

Der Schwerpunkt der Versorgung lag auch in diesem Jahr auf der Behandlung von Kinderunfällen. Da die Werkstatt wegen Sicherheitsmängeln mehrere Monate geschlossen und über ein Jahr lang ohne das nötige Material improvisiert werden musste, konzentrierte sich das Personal auf die schwersten Fälle.

Das Team von medi for help hält den Kontakt zum HAS weiterhin aufrecht, um den Patient:innen und Klinikmitarbeitenden auch künftig zu helfen. Ziel ist es, eine weitere Lieferung dringend benötigter Verbrauchsmaterialien so schnell wie möglich durch den Zoll nach Deschapelles zu bringen – ohne dabei Menschen in der aktuellen Situation zu gefährden.