Haitianerin mit ihrem Baby auf dem Arm

medi for help – Jahresbericht 2020

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Liebe Freunde des orthopädischen Versorgungszentrums medi for help und des Albert-Schweitzer-Hôpital

Leider erreichte die Corona-Pandemie auch Haiti. Die ersten Infektionen wurden Ende Februar 2020 festgestellt. Erstmals seit elf Jahren mussten die Tore der medi for help Werkstatt über mehrere Wochen geschlossen werden.
Die Gefahr einer raschen Ausbreitung des Virus ist in Haiti besonders hoch. Viele Menschen können die Ausgangsbeschränkungen nicht einhalten, da sie sonst kein Einkommen haben.
Die Krankheitsverläufe sind wegen chronischer Vorerkrankungen wie Unterernährung, Infektionen (Tuberkulose etc.) wesentlich schwerer als bei uns in Deutschland.

Infektionsschutz bei täglicher Arbeit, Dr. Jovania Dambreville. Foto: Frederick Alexis, Haiti

Die Corona Pandemie trifft die Ärmsten am härtesten! Unsere Sorge galt aber auch dem besonders gefährdeten Personal vor Ort. Mit der Unterstützung unserer Partner konnten wir rasch Schutzkleidung und Masken beschaffen.

Zum Schutz der Patienten und unseres Teams haben wir die orthopädische Werkstatt geschlossen. Der Schwerpunkt verlagerte sich auf die Errichtung eines COVID-19-Zentrums.

Aufgrund der Qualität der medizinischen Versorgung und der Erfahrung während der Cholera-Epidemie (über 7.100 Hospitalisierungen) ernannte die haitianische Regierung das HAS zum COVID-19-Zentrum. Die frühere Cholera-Station außerhalb des Spitals wurde renoviert und für die Aufnahme von coronainfizierten Patienten umfunktioniert.

Um den Kontakt und die mögliche Übertragung des Virus zu begrenzen, werden alle Verdachtsfälle zur Bewertung und Behandlung in das COVID-19-Zentrum überwiesen.

Anfang März wurde ein COVID-19-Notfallplan aktiviert, um die Auswirkungen des Coronavirus zu mildern.

Die Notfallreaktion umfasste die folgenden Maßnahmen:

Behandlung und Tests

Bisher wurden 100 bestätigte COVID-19-Fälle mit neun Todesfällen behandelt. Das HAS verfügt nicht über ein eigenes Testangebot. Das haitianische Gesundheitsministerium hat einen Gesundheitsbeamten zugewiesen, der den Testprozess für alle Verdachtsfälle verwaltet.

Testprozess und Dokumentation am HAS. Foto: www.hashaiti.org

Erklärung und Eindämmung

Da es viel Angst und Stigmatisierung im Zusammenhang mit dem Coronavirus im ländlichen Haiti gibt, setzte das HAS eine robuste Kommunikations- und Sensibilisierungsstrategie ein. Das Gemeindegesundheitspersonal erhielt eine gründliche COVID-19-Schulung und informierte lokale und benachbarte Gemeinden mit Megafonen, um Botschaften auszutauschen, die Hygiene zu verbessern und die soziale Distanzierung zu erhöhen. Das Krankenhaus und das orthopädische Versorgungszentrum setzten Notfallprotokolle und Eindämmungsverfahren durch, um die Übertragung des Virus zu reduzieren.

Handwaschstationen

Zusätzliche Handwaschstationen im Krankenhaus, medi for help Versorgungszentrum, auf dem Campusgelände und in den umliegenden Gemeinden wurden installiert und die Verfügbarkeit von kippbaren Wasserbehältern oder Handwaschgeräten erhöht, die berührungsloses Händewaschen ermöglichen. In und um die Service-Community wurden mehr als 300 Handwaschstationen und 139 kippbare Wasserbehälter installiert.

Flächendesinfektions- und Desinfektionsmittel

COVID-19 verursachte auf dem lokalen Markt einen kritischen Mangel an Bleichmitteln und allen anderen Oberflächendesinfektionsmitteln, die in Krankenhäusern und Gesundheitszentren in ganz Haiti dringend benötigt wurden. Zu den von Spendern finanzierten Upgrades des Wassersystems gehörte das Hinzufügen eines MIOX-Wasserreinigungssystems (Mixed Oxidants), das zur Herstellung eines 2,5-mal wirksameren Flächendesinfektionsmittels als Chlor / Bleichmittel verwendet wurde. Ein kostengünstiges Verfahren ist die Herstellung des Desinfektionsmittels für drei US-Dollar pro Gallone (= Maßeinheit, eine Gallone entspricht circa 3,79 Liter) mit bis zu 200 Gallonen pro Tag. Das HAS hat im gesamten Gesundheitssystem sowie im örtlichen Polizeirevier, in Kirchen und Schulen Desinfektionsmittel geliefert, seit März über 3.000 Gallonen.

Sauerstofftherapie

Die Sauerstofftherapie ist neben Fieberkontrolle und Flüssigkeitszufuhr die Hauptbehandlung für COVID-19-Patienten in Haiti. Das HAS kann zwar seit langem Sauerstoff vor Ort produzieren und speichern, aber die Sauerstoffgeneratoren altern. Durch die Großzügigkeit der Partner, Caris Foundation und USAID, konnte ein neuer Sauerstoffgenerator mit hoher Kapazität installiert werden, der eine zuverlässige Sauerstoffversorgung für COVID-19-Behandlungen und weitere Bedürfnisse in den kommenden Jahren sicherstellt.

Fortsetzung der grundlegenden Versorgungsdienste

Auch aufgrund der Pandemie kamen die Aktivitäten der Gemeinde zum Stillstand. Mit den neuen Gesundheitsvorschriften und -verfahren des Gesundheitsministeriums und den neuen festgelegten COVID-19-Protokollen des HAS wurden die Aktivitäten des Sanitär-, Wasser- und Hygieneprogramms im Mai 2020 wieder vollständig aufgenommen.

Abfahrt und Ankunft der orthopädischen Hilfsmittel der Firma Össur in Haiti.
Foto: www.medi.de

Während die Behandlung und Eindämmung von COVID-19 im Vordergrund stand, leistete das orthopädische Versorgungszentrum medi for help nach Wiedereröffnung wichtige Gesundheitsdienste, wenn auch unter Einhaltung aller Maßnahmen des Notfallplans reduziert. Dabei stehen wir vor wesentlichen Veränderungen, an die sich das Versorgungszentrum anpassen muss.

  • Die schlechte Wirtschaftslage Haitis hatte bereits im Vorjahr zu einer massiven Abwertung der lokalen Währung (Gourde) von circa 20 Prozent geführt.
  • Der Rückgang der Spenden stoppte geplante Finanzierungen.
  • Die gewaltsamen Aufstände der politischen Opposition gegen den unerwünschten Staatspräsidenten hielten das ganze Jahr weiter an. Auch jetzt sind die meisten Straßen blockiert; Transporte von Lebensmitteln, Treibstoffen und sogar Trinkwasser sind oft unmöglich. Umso glücklicher sind wir, dass ein Container mit orthopädischen Passteilen in Haiti angekommen ist. Dank einer großzügigen Spende der Firma Össur ist es weiterhin möglich, die Versorgung aufrechtzuerhalten.

Verlagerung der Versorgungsregion

Werkstatt St. Vincent‘s in Port-au-Prince. Foto: CMMB Partner von medi for help bei der Erbauung der Werkstatt 2012 / 2013

Die Versorgung der beinamputierten Patienten in Port-au-Prince hat sich weiter etabliert. Neben der Werkstatt, die wir gemeinsam mit Partnern 2012 / 2013 erbauten und an das St. Vincent‘s Center for Children with Disabilities übergaben, haben sich weitere Workshops der Neu und Nachversorgung angenommen.

Somit bleibt den Patienten der lange und beschwerliche Weg nach Deschapelles in das medi for help Versorgungszentrum erspart. Daraus entstand ein neuer Fokus auf die unmittelbare Region um das Albert-Schweitzer-Hôpital.

Wandel der Versorgung – Zunahme von Unfällen mit Kindern und Jugendlichen

Täglich erreichen uns schwere Unfälle mit Kindern, da der motorisierte Verkehr zunimmt und Vorsichtsmaßnahmen wie Helme fehlen.

Die Pädiatrie ist mit jährlich über 4.000 stationären Behandlungen die größte am Spital.

Da die Unfälle weiter steigen, ist ein Ausbau der Unfallchirurgie geplant.

Das Team der medi for help Werkstatt muss sich auf diese Veränderungen neu einstellen.

Stephanies erste Gehversuche nach schwerer Beinverletzung. Foto: www.hashaiti.org

Versorgungszahlen

Versorgungen insgesamt

Ein Land kommt nicht zur Ruhe

Der Versorgungsverlauf spiegelt auch in diesem Jahr die Schwierigkeiten wider, mit denen Haiti zu kämpfen hat. Neben den politisch motivierten Straßenkämpfen der letzten Jahre und der Corona-Pandemie zeigt sich aber auch der Erfolg unserer Bemühung, 2013 eine orthopädische Versorgung in der Hauptstadt Port-au-Prince errichtet und an St. Vincent übergeben zu haben, immer deutlicher.

Während der Monate zwischen der Schließung des Versorgungszentrums und dem Rückgang der Patientenbesuche aufgrund der Ausgangsbeschränkungen haben wir insgesamt 141 Patienten behandelt. Dies entspricht beinahe der Hälfte der erwarteten Menge. Über den gesamten Versorgungszeitraum 2010 bis 2020 gab es insgesamt 4.039 Neuversorgungen mit 7.333 Patientenbesuchen und wir gelten somit als eines der größten orthopädischen Versorgungszentren der Karibik

Orthetische Versorgung

Die Nachfrage nach orthetischer Versorgung ist im Verhältnis zur Prothetik beträchtlich angestiegen. Unsere hervorragenden haitianischen Techniker sind geschult, die Umstellung des Versorgungsschwerpunktes auf posttraumatische Gelenkverletzungen ist ein Ziel für die nahe Zukunft, damit wir auch hier eine umfassende Versorgung anbieten können.

Ein weiterer Grund für diesen Anstieg ist neben der Zunahme der Verkehrsunfälle die starke partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen dem orthopädietechnischen Versorgungszentrum und der physiotherapeutischen Abteilung des HAS. Durch ihre Teilnahme an den morgendlichen Gesprächsrunden können die Physiotherapeuten feststellen, für welche Patienten eine orthopädietechnische Versorgung hilfreich wäre, und diese an das Versorgungszentrum überweisen. Oft bringen sie die Patienten auch persönlich in die Klinik.

Frederic nach der orthopädischen Versorgung mit Orthesen und Schuhen in unserer Physiotherapie. Foto: www.hashaiti.org

Wir bleiben!

Wegen der politischen Unsicherheit haben viele Hilfswerke Haiti bereits verlassen. Die Not für die Menschen wird deshalb noch größer.

Unsere zahlreichen Programme und Projekte können wir aber nur mit Ihrer Hilfe weiterführen. Ganz herzlichen Dank für Ihre Unterstützung und Solidarität!

Ihr medi for help Team

Den Bericht können Sie hier auch als PDF herunterladen.